Lehrerin oder Lehrer werden mit Behinderung: Ein Erfahrungsbericht
Inklusion ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Es geht um Teilhabe, Gleichberechtigung und Miteinander. Das gilt nicht nur für Schülerinnen und Schüler, sondern selbstverständlich auch für Lehrerinnen und Lehrer. Lehrkräfte mit Behinderung sind dabei nicht nur ein lebendiges Beispiel für die Teilhabe am Arbeitsplatz, sondern beweisen auch, dass die Freude am Lehrberuf nicht durch körperliche Einschränkungen zu stoppen ist!
Für schwerbehinderte Menschen ist der Beruf der Lehrerin oder des Lehrers aber auch mit besonderen Herausforderungen verbunden. Daher erhalten schwerbehinderte Lehrkräfte besondere Unterstützung. Die Vereinbarungen über Hilfestellungen und Gewährungen von Nachteilsausgleichen in der Ausbildung und im Beruf ist in der Inkusionsvereinbarung für die schwerbehinderten Menschen an staatlichen Schulen und Studienseminaren festgelegt.
Eine junge Lehrerin, die ihren Arbeitsalltag trotz einer Gehbehinderung auf das Beste meistert, ist Sarah Malzkorn. Schon als Schülerin gab sie anderen Nachhilfestunden und entdeckte dabei ihre Passion für das Lehren. Nach dem Lehramtsstudium der Universität Landau und dem Vorbereitungsdienst in Mainz ist Frau Malzkorn seit Mai 2014 Lehrerin an einer Grundschule in Mainz. In einem Interview hat Sarah Malzkorn mit uns über ihre Motivation für die Berufswahl und ihren Arbeitsalltag im Schuldienst gesprochen..
Warum wollten Sie Lehrerin werden und was macht Ihnen an Ihrem Beruf am meisten Spaß?
© Martina Pipprich 2019
Ich habe während der Schulzeit immer mal wieder Nachhilfe gegeben und mir hat es Freude gemacht, Kindern und Jugendlichen Inhalte zu erklären und sie beim Lernen zu unterstützen. Nach dem Abitur war mir zunächst nicht klar, was ich genau machen möchte, sodass ich erst einmal in Mainz ein Semester Musikwissenschaften und Informatik studiert habe. Nach wenigen Wochen war mir klar, dass mir das alles zu theoretisch ist und ich gerne mit Menschen, am liebsten mit Kindern direkt zu tun haben möchte. Irgendwie kam ich dann auf die Idee des Grundschullehramts – das war genau die richtige Entscheidung.
Mir bereitet es Freude bei Kindern die Grundsteine des Lernens zu legen und ihre Fortschritte zu verfolgen und zu begleiten. Die Neugierde, Ehrlichkeit und Offenheit, die Kinder mir schenken, zeigen mir immer wieder, dass es ein toller und sehr abwechslungsreicher Beruf ist. Außerdem gefällt mir an den Grundschulen sehr, dass dort alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden und somit nahezu der Querschnitt einer Gesellschaft abgebildet ist. Die Vielfalt der Kinder prägt eine Klasse; jedes Individuum mit seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten macht eine Klassengemeinschaft aus. Das ist durchaus auch spannend zu beobachten.
Hatten Sie auch Bedenken, ob der Lehrerberuf der richtige für Sie ist?
Bedenken, ob der Beruf der Richtige für mich ist im Hinblick auf die Behinderung, hatte ich nie. Ich habe mich niemals auf meine Gehbehinderung reduziert betrachtet, sondern mich immer als normaler Mensch gesehen und so auch wahrgenommen gefühlt.
Meine Familie und Freunde freuten sich, als sie hörten, dass ich Grundschullehrerin werden möchte. Sie meinten alle, dass sie sich das gut bei mir vorstellen können, da es zu meiner Art passe und ich eine sehr geduldige, ausdauernde und empathische Person sei. Sie haben mich in der Berufswahl bestärkt und sich über meinen Weg gefreut.
Wie haben Sie Ihre Ausbildungszeit und den Einstieg in das Berufsleben erlebt?
© Martina Pipprich 2019
Das Studium in Landau war eine tolle Zeit. Die Prüfungsphasen waren natürlich anstrengend und nervenraubend, aber ich habe tolle Menschen kennengelernt und als Freunde gewonnen, habe mehrere Semester an verschiedenen Unisport-Programmen teilgenommen und einige sehr gewinnbringende praktische Veranstaltungen während des Studiums genießen dürfen.
Der Vorbereitungsdienst war sehr abwechslungsreich: Es gab stressigere und entspanntere Phasen. Er war fordernd, informativ, ideenreich, anstrengend, aufregend und zeitaufwändig. Ich denke, so erleben ihn einige Lehramtsanwärter. An der Schule und im Seminar fühlte ich mich immer sehr wohl. Sowohl die Leitung und das Kollegium der Schillerschule als auch die Seminarleiterinnen waren sehr wertschätzend, freundlich und hilfsbereit. Genauso wie man sich ein Miteinander wünscht. Die ersten Unterrichtsversuche waren noch mit Unsicherheit verbunden, wurden in einigen Phasen aber immer routinierter. In den 18 Monaten lernte ich wahnsinnig viel.
Direkt nach den Prüfungen wurde ich an die Peter-Härtling-Schule abgeordnet, an der ich heute noch bin. Vom Kollegium und der Schulleitung wurde ich sehr freundlich empfangen. Nach den Sommerferien begann dann der tatsächliche Lehreralltag mit vollem Stundendeputat (23 Lehrerwochenstunden, da zwei Stunden Ermäßigung aufgrund des GdB) statt der bisherigen zwölf Lehrerwochenstunden. Ich erlebte dann auch direkt, was Lehreralltag bedeutet: Klassenleitung, Elterngespräche, Organisation von Klassenfahrten etc. Viele Sachen, die dann neben dem Unterrichten auf einen zukommen und zum Alltag eines Lehrers dazugehören. Dinge, die mir während des Vorbereitungsdienstes nur entfernt begegnet sind.
Wie erleben Sie heute Ihren Alltag als Grundschullehrerin? Welche Herausforderungen stellen sich Ihnen aufgrund der Behinderung und wie meistern Sie diese?
© Martina Pipprich 2019
Momentan ist der Grundschulalltag sehr abwechslungsreich. Der Unterricht mit Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche sowie Planung von Unterrichtsgängen u.v.m. ist mein Berufsalltag. Inzwischen habe ich einige Erfahrungen gesammelt und bin somit in einigen Situationen routinierter und auch entspannter, stoße aber trotzdem immer wieder auf neue Situationen und Begebenheiten, die mich herausfordern. Da ich mir als Lehrerin selbst einteilen kann, wann ich die Unterrichtsvor- und -nachbereitungen mache, gönne ich mir nach einem Unterrichtstag meist einen Mittagsschlaf von mindestens einer halben Stunde.
Im Lehrerberuf ist man recht viel auf den Beinen, somit habe ich mir für den Unterricht seit zwei Jahren einen rollenden Bürohocker ins Klassenzimmer gestellt, auf dem ich mich schnell zu einem Kind bewegen und somit gleich sitzend behilflich sein kann. Diese Rollhocker werden bei uns von verschiedenen Kolleginnen genutzt. Manchmal hole ich auch Kinder zu mir ans Pult, statt zu ihnen zu gehen.
Bei Ausflügen und Klassenfahrten habe ich immer meine Unterarmgehstützen dabei. Ich nutze sie, wenn ich nicht genau weiß, wie lang, aber auch wie holprig die Strecke ist. Mit ihnen bin ich sicher auch auf längeren Strecken unterwegs.
Das Miteinander in der Schule ist sehr angenehm und wertschätzend. Die Kolleginnen und Kollegen sowie meine Schulleitung sind sehr offen, interessiert und hilfsbereit. Jährlich findet ganz selbstverständlich zwischen der Schulleitung und mir das Gespräch zur Integrationsvereinbarung statt, indem ich sage, was ich mir für das nächste Schuljahr vorstelle (Aufsichten, Klassenleitung, Begleitung auf Ausflügen). Das Integrationsgespräch hilft mir dabei, den Lehrerberuf mit allen Facetten ausüben zu können.
In den ersten Jahren habe ich die Aufsichten so häufig geführt wie alle Kolleginnen und Kollegen mit vollem Stundendeputat. Im Laufe der Zeit stellte ich fest, dass mir Ruhephasen nach den Unterrichtsstunden wichtig sind und gut tun, sodass ich dann zwei Schuljahre hintereinander nur eine Frühaufsicht übernahm. Momentan bin ich lediglich für eine Vertretungsaufsicht eingeteilt, da es für mich sonst zu anstrengend wird.
Was würden Sie schwerbehinderten Schülerinnen und Schülern raten, die den Lehrerberuf ergreifen möchten?
Wähle den Beruf, den du machen möchtest. Ich habe nur gute Erfahrungen sammeln dürfen und bin froh, mich für diesen Beruf entschieden zu haben.
Gehe offen mit deiner Einschränkung um und lebe so Inklusion.
Du hast als Schwerbehinderte Rechte. Informiere dich darüber und nutze sie ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. An den Universitäten, am Studienseminar, an den Schulen und auch im Ministerium gibt es Schwerbehindertenbeauftragte, die dir bei deinen Fragen gerne behilflich sind.